Nachbereitung – siebente PEGIDA-Demonstration in Dresden

04/12/2014

 

von Gumbel

Es ist noch kein Ende der montagabendlichen Zusammenkunft von Rassist_innen aus allen möglichen Lagen abzusehen. Dennoch hatte der 1. Dezember doch etwas erfreuliches, denn der Undogmatischen Radikalen Antifa (URA) ist es gelungen, an die 1.500 bis 2.000 Menschen sachsenweit nach Dresden zu mobilisieren.

Mit dem Wort Erfolg bin ich immer etwas vorsichtig. Einerseits ist es wirklich ein Erfolg, dass so viele Menschen dem Aufruf der vierten „Rassismus demaskieren“ – Demonstration gefolgt sind. Andererseits bleibt die PEGIDA-Demonstration immer noch zahlenmäßig weit überlegen, wobei diesmal ein Streit um die Zahlen entstanden ist. Von Polizeiseite heißt es, es wären 7.500 gewesen, was einer weiteren Steigerung entsprechen würde. Andere Quellen geben um die 5.000 an. Das wiederum würde bedeuten, dass die Zahl stagnieren würde. Die konkrete Zahl dürfte wohl wieder irgendwo dazwischen liegen.

Ohne großartig auf den Tag bzw. Abend einzugehen, ist es zudem gelungen, die PEGIDA-Demonstration am Terassenufer zu blockieren. Dennoch ist die Analyse von DD-Nazifrei bei aller Freude, ums freundlich auszudrücken, sehr optimistisch ausgefallen. Das Blockadekonzept hat nur aufgrund der Polizeikräfte vor Ort funktioniert. Abgesehen natürlich von einer möglichen Räumung durch die Polizei selbst, die es an dem Abend auch schon gab, worüber sich die Blockier_innen im Großen und Ganzen aber bewusst sein dürften, dient die Polizei gleichzeitig als Pufferzone. Das heißt ohne die Polizeieinheiten dazwischen wäre wohl der gewaltbereite Teil der PEGIDA durchgebrochen und wäre auf die Blockier_innen losgegangen. Damit ist auch das Blockadekonzept somit an Polizeikräfte gebunden, auch wenn das paradox klingt. Außerdem ist es anzuzweifeln, ob die Teilnehmer_innenanzahl bei PEGIDA wirklich durch Dresden-Nazifrei gebrochen wurden. Das klingt eher nach einer Überhöhung der eigenen Rolle. Denkbar ist eher, dass das kalte Wetter im Zusammenspiel der rassistischen Stimmungsmache bei PEGIDA, die aber bis jetzt keine praktischen Folgen nach sich gezogen hat (zum Glück), Teile  des eigenen Klientel immer weniger anspricht. Insbesondere bei der Blockade wurden die Spannungen auf PEGIDA-Seite mehr als deutlich als einige gar nicht einverstanden waren, an der Stelle einfach umzudrehen. Vielmehr offenbarte sich da, das die propagierte Gewaltfreiheit bei vielen nur Fassade ist und die Organisatoren am Abend mithilfe der eingesetzten Security mehrmals PEGIDA-Anhänger_innen zurückhalten mussten.

Unverständlich hingegen bleibt die Situation auf der St. Petersburger Straße und damit einiges an Klärungsbedarf. Zwei Beispiele sollten an der Stelle genügen. Warum ließen die Teilnehmer_innen Menschen in die Demonstration hinein, die von PEGIDA-Seite kamen? Damit wurde den Polizeieinheiten noch ein Anlass mehr gegeben, in die Demonstration reinzugehen und gleichzeitig hat das teilweise zu größeren Verwiirungen geführt. Außerdem gab es immer wieder größere Lücken zwischen der Demonstrationspitze und der restlichen Demonstration, auch wo auf der St.-Petersburger länger gehalten wurde. Das macht es der Polizei wiederum leichter, Teile des Aufzugs zu Kesseln im Härtefall.

Die Polizei tat dann mal wieder ihr Übriges und ging mit Schlagstockeinsatz und Pfefferspray gegen die erste Reihe vor, konnte die Leute aber nur mit Mühe zurückhalten und war sichtlich überfordert und musste letztlich sogar den Weg freigeben. Außerdem ist es dadurch gelungen, einen Teil der Polizei ohne größere Probleme an einem Ort zu binden.

Abgesehen von dieser unschönen Situation verlief der Rest reibungslos und allgemein war der Aufzug lautstark und hatte durch eine Vielzahl an Transparenten im vorderen Teil eine gute Außenwirkung. Weitere umfangreiche Zusammenfassungen finden sich bei URA selbst und bei addn.me, deswegen der eher kurze Abriss vom Tag. Im Nachfolgenden wird hier noch der Redebeitrag der PAL veröffentlicht (mit freundlicher Genehmigung). Insgesamt waren die Redebeiträge gut und teilweise mit einer ordentlichen Portion Wut im Bauch vorgetragen.

Pirnaer Autonome Linke [PAL] – Redebeitrag

“Die herrschenden Gedanken sind weiter Nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefaßten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft.” (Thesen über Feuerbach, Karl Marx 1845) [1]


Alles nur Rassismus?

Seit sechs Wochen demonstriert jeden Montag ein Zusammenschluss mit dem Namen Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, kurz PEGIDA, die Woche für Woche mehr Zulauf bekommen haben. Anlass für den rassistischen Haufen der Gruseligkeiten, in dem alles vertreten ist von rechtskonservativen Menschen über Fußballfans bis hin zu FaschistInnen, waren die beiden Solidaritätsdemonstrationen für Kobani und die YPG/YPJ in Dresden.

Der Mobilisierungserfolg speist sich durch den vagen Aufruf seitens PEGIDA, in dem jede*r das reininterpretieren kann, was er*sie will. Das bietet eine hohe Anschlussfähigkeit. Die Redebeiträge selbst strotzen dann nur so vor rassistischen Ressentiments.

Aber ist der Rassismus das einzige, was PEGIDA zusammenhält? Reicht das, um das Phänomen PEGIDA als eine Art „Verbürgerlichung“ von Hooligans gegen Salafisten (HOGESA) zu erklären?

Wir denken nein, das reicht nicht. Zwar handelt sich bei PEGIDA zweifelsohne um Rassist*innen, egal ob biologisch oder kulturell konnotiert, aber in unserem Redebeitrag wollen wir noch auf weitere Aspekte eingehen. Es geht insbesondere darum, dass HOGESA und auch PEGIDA einige Schnittmengen mit denjenigen aufweist, die sie vorgeben abzulehnen. Außerdem wollen wir gleichzeitig auf einige Leerstellen der radikalen Linken in der Diskussion hinweisen, die in der Auseinandersetzung mit HOGESA und PEGIDA aufgetreten sind, vor allem hinsichtlich einer Auseinandersetzung mit Religion im Allgemeinen und besonders dem Islamischen Staat.

 

Identitärer Überbau

PEGIDA knüpft da an, wo HOGESA aufgehört hat. Die Hooligans und FaschistInnen bei HOGESA verstanden sich als nationale Avantgarde gegen die angebliche Islamisierung Deutschlands. Neben den üblichen rassistischen Ressentiments wurden und werden diese mit angetrieben von der Angst, durch IslamistInnen bspw. in der Gewaltanwendung noch überholt zu werden. Rassismus kommt hier zusammen mit Neid und Furcht vor dem islamistischen Gegenentwurf.

Der Islamismus erscheint hierbei als ein Konkurrenzprodukt, das insbesondere jungen Männern eine Gemeinschaft bietet, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund und damit erfolgreich ist. Die Identitätsbildung ist somit nicht mehr primär entscheidend über die Nationalität und somit nicht exklusiv deutsch. Das strahlt bei der Suche nach autoritären Identitätsmustern eine zusätzliche Attraktivität aus.

Zudem bietet sich durch den Islamischen Staat (IS) auch gleich ein Einsatzgebiet an, um der eigenen Brutalisierung freien Lauf zu lassen. Bis heute sind ungefähr 500-1000 Menschen aus Deutschland dem Ruf des IS gefolgt, insbesondere deutsche Konvertierte.

All das bietet HOGESA nicht in dieser Intensität, zumal deren Teilnehmer*innen in Köln und in Hannover nicht über Saufen und der anschließenden Randale hinausgekommen sind.

An diesem Punkt steigt PEGIDA ein. Propagiert wird aus den Erfahrungen von Köln und Hannover vordergründig Gewaltfreiheit, der Aufruf aber ist ebenso wage und schlicht gehalten wie bei HOGESA und letztlich werden die gleichen rassistischen Ressentiments bedient. Das zeigen auch die verschiedenen Redebeiträge der letzten Wochen beim Stelldichein am Montagabend. Aber aufgrund der bewussten Ablegung einer Avantgardehaltung in SA-Manier und der augenscheinliche Bezug auf die Demonstrationen zur Wiedervereinigung kann PEGIDA Woche für Woche mehr Menschen mobilisieren, was bei einer rechtskonservativen sächsischen Gesellschaft ohne größere Probleme funktioniert. Der Wille und der Wunsch dahinter sind, über einen möglichst kleinen gemeinsamen Nenner eine Identität aufzubauen, die auf Abgrenzung und Ausschluss beruht. Endlich ist man wieder wer und auch noch Teil des herbeigesehnten Volkswillens. Auch bei PEGIDA wird der Islamismus unterbewusst als Konkurrenzbetrieb gesehen, der die eigene Identität bedroht. Wenn dabei gleich das rassistische Ressentiment bedient werden kann, umso besser. Das gilt im Übrigen auch für den IS, der über seinen Krieg an so genannten „Ungläubigen“ zudem ein rassistisches Mordprogramm vollzieht, denn Minderheiten gelten als geringwertig. Die Einteilung in ein Eigen- und Fremd-Kollektiv ist dabei der entscheidende Schritt.

Würde nämlich eine wirkliche Auseinandersetzung mit Islamismus erfolgen, lässt sich schnell feststellen, dass die Bewegung hierzulande von deutschen Konvertiten und Menschen, die in zweiter und dritter Generation hier leben, mit getragen wird. Es handelt sich somit mitnichten um einen plötzlich auftretenden äußeren Import. Piere Vogel und Denis Mamadou Gerhard Cuspert, besser bekannt als Rapper Deso Dogg dürften hierbei die wohl bekanntesten Salafisten in Deutschland sein.

 

Die Rolle der Frau*

Ein oft beliebtes Thema in der Debatte um Islamismus, ist die Rolle der Frau*. Diese Karte wird auch von rechtskonservativer und faschistischer Seite regelmäßig gespielt. Der Islamismus gilt als die Ausgeburt der absoluten Frauenunterdrückung und in der Tat, der IS versklavt in den eroberten Gebieten als nichtmuslimisch definierte Frauen* und Mädchen*. Das gilt bspw. auch für Boko Haram in Nigeria. Nicht selten werden Frauen* und Mädchen* verkauft oder an die eigenen Kämpfer verheiratet. Und auch wahr, dass Frauen* und Mädchen* der Sharia unterworfen werden und in der propagierten und gelebten patriachalen Gemeinschaft kaum etwas zu sagen haben. Es herrscht eine strikte Geschlechtertrennung, wobei Frauen* auf den Alltagsbereich festgelegt sind. Die Verfolgung macht da aber nicht Halt, sondern betrifft auch diejenigen Menschen, die als Normabweichung zählen: Transgender, Homosexuelle und Intersexuelle, die oftmals verschleppt, gefoltert und schließlich ermordet werden.

Wahr ist allerdings genauso und oft nicht erwähnt, dass auch Frauen* in den Reihen des IS kämpfen, was für diese einen Gewinn an Bewegungsfreiheit und Macht darstellt. Insbesondere Frauen* aus Europa und englischsprachigen Gebieten, die sich dem IS angeschlossen haben, werden als sehr engagiert und brutal beschrieben. Besonders drangsalieren sie andere Frauen*, die bspw. einen zu transparenten Gesichtsschleier tragen oder ohne männliche Begleitung unterwegs sind. Das zeigt, dass Islamismus eine umfassende antiemanzipatorische Ideologie und der IS eine klerikal-faschistische Bewegung ist.

Aber auch bei PEGIDA und HOGESA handelt es sich um Gruppierungen, in denen nicht nur ein Männlichkeitsideal ausgelebt wird, wie der hohe Anteil bei den Demonstrationen zeigt, sondern zugleich die Rechte und Selbstbestimmung von Frauen* unterminiert werden. Für den Großteil bei PEGIDA dürfte eine gute Welt am Besten nur aus Zweigeschlechtigkeit und Heterosexualität bestehen.

Das Klima ist dazu gegeben, bspw. als die sächsische AfD die Drei-Kind-Regel während des Wahlkampfes propagierte, sprich einen Großteil der Frauen wieder auf den Haushalt reduziert sehen möchte oder sich christliche FundamentalistInnen gegen Abtreibung und gegen die körperliche Selbstbestimmung von Frauen* aussprechen. Und wo gegen angeblichen Genderwahnsinn und Homosexualität gehetzt wird, wie letzte Woche ebenfalls in Dresden von so genannten besorgten Eltern. Eben all jene Teile, die bei PEGIDA mitmarschieren. Das zeigt zugleich, dass das Christentum gleichfalls reaktionäre Tendenzen inne hat, die gern vergessen werden. Allgemein ist eine Welt, in der Menschen bei Religion Trost suchen, keine gute Welt.

Der Rassismus, der im Anschluss bei PEGIDA an dieser Stelle greift, um allgemein gegen Muslime zu hetzen und sich gleichzeitig von IslamistInnen distanzieren zu können, ist ein kultureller. Der Islam wird als barbarisch und zurückgeblieben dargestellt, bei gleichzeitiger Überhöhung einer wie auch immer aussehenden deutschen Kultur. An der Stelle schwingt (psychologisch) insgeheim eine Art Neid und die eigene Hemmung mit, beim Blick darauf, wie rigoros der IS und andere islamistische Gruppen in ihren Gebieten mit ihren Gegner*innen verfahren, auch in Bezug auf Geschlecht und Sexualität.

 

Linke Leerstellen

Wie versucht wurde, aufzuzeigen, schwingt bei den PEGIDA-Anhänger*innen einiges mehr mit. Natürlich steht das rassistische Ressentiment bei deren Veranstaltung an erster Stelle und ist auch die Klammer für die Teilnehmer*innen. Aus den Erfahrungen von HOGESA, aber auch bei den Übergriffen bei der ersten PEGIDA-Veranstaltung bildet die propagierte Gewaltfreiheit auch eine Kernforderung an der eigenen Klientel. Und dieses Konzept geht auf, wie der rasante Anstieg der Teilnehmer*innen zeigt. Das Bild der ruhig und besonnen demonstrierenden Deutschen hat auch den Effekt, dass sich gegenüber Hooligans und rechten GewalttäterInnen zumindest oberflächlich abgegrenzt werden kann. Gleichzeitig fällt es somit leichter, die eigenen rassistischen Ressentiments als angeblich berichtigte Sorge um Deutschland und dessen Verfall zu verkaufen. Anscheinend wurde auf einen solchen Kulminationspunkt bundesweit gewartet, denn es gibt nun auch in anderen Städten Anmeldungen von PEGIDA-Demonstrationen.

Entscheidend für uns ist aber, nicht beim Rassismus stehen zu bleiben oder sich rein an PEGIDA abzuarbeiten. Genauso wichtig ist es eine konkrete Kritik an Islamismus, um darüber eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Denn PEGIDA und IslamistInnen eint letztlich die Ablehnung der Moderne und der Versuch auf die Komplexität des Kapitalverhältnisses einfache Antworten zu geben.

Wir erachten neben dem Benennen des Rassismus von PEGIDA eine Thematisierung der Ideologie des IS und seiner faschistischen Züge ebenso sinnvoll, wie eine Vermittlung der kritischen Solidarität mit denjenigen Kräften, die sich gegen den IS stellen. Und das wiederum heißt, dass eine solche Solidarität nicht nur bei YPG/ YPJ stehen bleiben kann, sondern all diejenigen umfassen sollte, die sich gegen Islamismus als solchen stellen und vor allem für eine laizistische und demokratische Modelle einstehen. Und das bedeutet weiter, dass der Blick über den Schauplatz und teilweise schon linke Projektionsfläche Kobani hinausgehen muss, denn sonst fällt das Morden des IS im Irak und in anderen Teilen aus der Betrachtung. Das gilt ebenso für den Krieg des Assad-Regimes gegen die Menschen in Syrien, der seit drei Jahren tobt und anscheinend kaum mehr eine Rolle in der Auseinandersetzung bei der momentanen Lage spielt. Auch welche Akteure dort sonst noch ihr Süppchen kochen, angefangen bei der Türkei über den Iran bis hin zu Akteuren der ersten Stunde bei der Anti-IS-Koalition wie Saudi-Arabien.

Eine Kritik an den rassistischen Ressentiments von PEGIDA kann nicht ohne eine Aufklärung über die Umstände von Geflüchteten im Allgemeinen und der Situation im Irak und Syrien im Besonderen funktionieren. Auch um antimuslimische Reflexe in der eigenen Bewegung zu verhindern. Alles andere greift unserer Ansicht nach zu kurz.

Danke für die Aufmerksamkeit.

[1] Bezogen auf 24 Jahre CDU-Herrschaft

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